Lourdesverein Westfalen e.V.

der ort

Der Wallfahrtsort Lourdes feiert Renaissance
- Als der Himmel die Erde berührte


Nahezu anderthalb Jahrhunderte sind vergangen, seit aus einem unscheinbaren kleinen Städtchen im Süden Frankreichs der berühmteste Wallfahrtsort Europas geworden ist: Lourdes, Ziel für Pilger aus aller Welt. Mehr als drei Millionen Menschen sind es, die Jahr für Jahr mit Zügen, Bussen, Flugzeugen oder zu Fuß in das Städtchen am Fuß des unwegsamen Pyrenäen-Gebirges zwischen Frankreich und Spanien pilgern.

Jeden Abend wird der Platz vor der Basilika im Schein zehntausender Kerzen zu einem getreuen Abbild der Welt: argentinische Ponchos, indische Saris, afrikanische Bobos, seidene Pluderhosen unter der vietnamesischen Tunika, Uniformen aus aller Herren Länder, Priester, Mönche und Nonnen aller Kontinente und Sprachen -und vor allem viele Jugendliche. Über dem Lichterspiel der Kerzen braust aus Tausenden von Kehlen in dutzendfacher Wiederholung ein Gesang in den Nachthimmel: "Ave, ave, ave Maria!"

Lourdes, unterhalb einer mittelalterlichen Bergfestung gebaut, läge gewiss im Schatten der Geschichte, wenn nicht in der Mitte des 19. Jahrhunderts ein Ereignis das Dorf in den Lichtkegel des Weltinteresses gerückt hätte: Man schrieb den 11. Februar 1858, einen bitterkalten Tag. Die 14-jährige Tochter Bernadette des verarmten Dorfmüllers Francois Soubirous und ihre kleine Schwester Marie wurden zum Holzsammeln geschickt. Am Ufer des Gave-Flusses, der Lourdes durchfließt, geschah dann das Unbegreifliche, das noch nie besser beschrieben wurde, als in einem Roman, dessen Verfasser nicht einmal Christ war. Der deutsche Dichter Franz Werfel war Jude. Auf der Flucht vor den Truppen Hitlers war er im Zweiten Weltkrieg nach Lourdes gekommen. Wenn Gott ihn bei seiner abenteuerlichen Flucht ins rettende Spanien beschirme werde, gelobte er, werde er über das, was er hier in Lourdes erfahren hatte, einen Roman schreiben. Werfel hielt Wort: "Das Lied der Bernadette" heißt das Buch, die ergreifenste Deutung jenes Ortes und jenes Ereignisses, bei dem "der Himmel die Erde berührte", wie Werfel schreibt.

Und so schildert er das, was sich abgespielte, als Bernadette Soubirous an jenem Februartag 1858 in der Grotte von Massabielle plötzlich ein seltsames Licht erblickte: "Bernadette reibt sich die Augen, schließt sie, öffnet sie, wohl zehn Mal. Und es bleibt trotzdem. Das Tageslicht ist bleinern, nach wie vor. Nur in derspitzbogenförmigen Nische des Grottenfelsens verweilt ein tiefer Glanz, als sei die altgoldene Neige stärkster Sonnenstrahlung dort zurück-geblieben. In dieser Neige eines wogenden Lichtes steht jemand, der wie aus der Tiefe der Welt gerade hier an den Tag getreten ist, nach einem langen, aber mühelosen und bequemen Weg. Dieser Jemand ist durchaus kein ungenaues Gespenst, keine veränderliche Traumvision, sondern eine sehr junge Dame, klein und Zierlich, sichtbar aus Fleisch und Blut."

Bernadette wusste nicht, wer diese "schöne Dame" ist. Ihre Botschaft, die das Kind nicht verstand und die ihm zunächst nur Spott einbrachte, lautete: "Ich bin die Unbefleckte Empfängnis" und: "Buße, Buße, Buße!" Erst langsam begriffen die Menschen einer der Aufklärung verhafteten Epoche, dass hier Übernatürliches in diese Welt eingebrochen war und das hier offenbar die Gottesmutter einem unmündigen Kind eine Botschaft an seine Zeit gegeben hatte. Ihr Auftrag, an der Grotte und an einer Quelle, die das Mädchen Bernadette auf Geheiß der "schönen Dame" mit bloßen Händen aus dem Boden gegraben hatte, eine Stätte des Gebetes zu errichten, fand in Frankreich, Europa und der Welt einen Widerhall den bis dahin kein anderes Heiligtum erlebt hatte. Seither ist der Strom der Beter und Büßer nicht mehr abgerissen. Sie alle wollen aus dem " Wunder Lourdes" Kraft und Glaubensmut schöpfen.


Was ist dieses Wunder Lourdes?

Seit den Tagen der ersten Marienerscheinungen hat es immer wieder spektakuläre Heilungen körperlicher und seelischer Gebrechen gegeben. Jährlich werden heute unter den Wallfahrern rund 50 000 Kranke gezählt. Viele von ihnen haben nach ärztlichem Ermessen keine Heilungschance. Gewiss: Alle hoffen sie. Aber die Hoffnung richtet sich nicht nur auf eine Änderung des körperlichen Zustandes. Indes: Das Ärztebüro zählt Jahr für Jahr 30 Gesundungen, von denen die Kirche im Laufe von über hundert Jahren aber nur rund 60 als " Wunder" anerkennt hat. Doch das eigentliche Wunder von Lourdes ist, dass auch die ungeheilt Gebliebenen zufrieden heimfahren; denn wichtiger als ein mögliches Wunder ist für die Beter die Wiedergewinnung ihrer Hoffnung. "Aus diesem Grund", schrieb der Franzose Gilbert Cesbron, "man spürt es sofort, man atmet es ein, ist Lourdes eine der großen Städte der Menschheit geworden." Und das erfahren nicht nur die Kranken, die das Bild bei den großartigen Zeremonien und Gottesdiensten in Lourdes bestimmen.

Von Frühling bis November strömen die Pilger zur Grotte. Auf dem kleinen Bahnhof herrscht geschäftige Eile, wenn die "Brancardiers", die Krankenträger, Rollstühle aus des Abteilen heben und in eines der Spitäler rund um den "heiligen Bezirk" schieben. Auf dem Flughafen der nahe gelegenen Kreisstadt Tarbes landen im Stundentakt Pilgerflugzeuge - die meisten aus Italien, Irland, Deutschland und den USA.

Die Hotels - nach Paris ist Lourdes mit seinen 20 000 Einwohnern die zweitgrößte französische Hotelstadt -sind durchweg ausgebucht. Die ungezählten Souvenirläden, die von frommen Kitsch bis zu Andachtsbildern alles bereit halten, was Pilgerseelen erfreut, machen gewaltige Umsätze.

Wie in militärischen Formationen ausgerichtet, stehen Gips- und Plastikmadonnen in den Auslagen - doch nur in der Stadt selbst; der "heilige Bezirk" am Rande, wo Bernadette die "schöne Dame" erschien, ist ein Ort der Stille und des Gebetes.

Von früh bis spät wird in Lourdes die Eucharistie gefeiert - an der Erscheinungsgrotte unter freiem Himmel, in einer der Basiliken neben oder über der Grotte und in der unterirdischen Basilika am Eingang des heiligen Bezirkes, einem der größten Gotteshäuser der Welt. Der Kreuzweg mit seinen lebensgroßen Figurendarstellungen zieht sich steil den Felsen über der Erscheinungsgrotte hoch. Die Kranken werden auf Liegen mitgenommen, die gesunde Pilger auf ihren Schultern tragen. Bei der Krankensegnung geht der Priester mit der Monstranz durch die Reihen und segnet die Kranken: "Herr, wenn du willst, dann werde ich gesund", lautet die tausendfach wiederholte Bitte der Pilger. Bei der Lichterprozession am Abend verwandelt sich die vom Gave umflossene riesige Anlage in ein Meer von Kerzenflammen. In dutzendfacher Wiederholung steigt der Gesang des "Ave Maria von Lourdes" in den Nachthimmel.

Besonders überfüllt ist Lourdes, wenn jedes Jahr im Sommer: Die Internationale Soldatenwallfahrt auf dem Pilgerkalender steht. 20 000 bis 30 000 Militärs aus zwei Dutzend Nationen kommen dann zu den "Normalpilgern" hinzu. Zeltdörfer nehmen sie auf. Um ihre Freundschaft und ihre Versöhnungsbereitschaft zu demonstrieren, werden dann abends in den Restaurants und Bars ~ gegen alle Vorschriften- Uniformteile getauscht, so dass am Ende die Stadt einem einzigen bunten Heerlager gleicht, einer "Garnison des Friedens".

Still ist Lourdes nur im Winter, wenn Hotels geschlossen und vor den Souvenirshops die Rollgitter heruntergelassen sind. Das Einzige, was dann an die "Pilgerreisen" erinnert, sind die vielen tausend Kerzen, die im Sommer gestiftet wurden und jetzt im Winter vor der Marmormadonna entzündet werden, die genau dort in der Grotte steht, wo Bernadette ihre "Schöne Dame" sah.

Helmut S. Ruppert (KNA)